
Gesponserte Fortbildungen für Ärzte – alles halb so wild oder doch ein echtes Problem?
Heute geht’s um ein Thema, das mir so richtig unter den Nägeln brennt:
unabhängige vs. gesponserte Fortbildungen für Ärztinnen und Ärzte
Warum mich das Ganze so beschäftigt? Ganz einfach: Ein Großteil der medizinischen Fortbildungen wird von großen Pharmaunternehmen finanziert. Ja, du hast richtig gelesen – die Veranstaltungen, bei denen Ärzte ihr Wissen auf den neuesten Stand bringen (sollen), werden nicht selten von genau den Firmen gesponsert, die natürlich auch ihre Produkte im besten Licht präsentieren wollen.
Jetzt könnte man sagen: „Na und? Ärzte sind ja Profis – die lassen sich doch nicht so leicht beeinflussen.“ Und ja, viele von ihnen wissen tatsächlich, wer da die Rechnung zahlt – und nehmen trotzdem teil. Warum?
Ärztliche Fortbildung – Pflicht mit Haken
Was viele vielleicht nicht wissen: Für Ärzte sind Fortbildungen keine nette Option, sondern gesetzliche Pflicht.
Innerhalb von fünf Jahren müssen 250 sogenannte CME-Punkte (Continuing Medical Education) gesammelt werden. Ein Punkt entspricht in etwa 45 Minuten Unterricht – das sind also rund 188 Stunden, die Mediziner neben dem stressigen Praxis- oder Klinikalltag noch „nebenbei“ investieren müssen. Hut ab dafür! Aber: Um diese Punkte zu sammeln, müssen sich Ärzte selbst kümmern. Es gibt verschiedene Plattformen, Angebote, Präsenzveranstaltungen, Online-Seminare – die Auswahl ist groß, aber eben nicht immer unabhängig.

Man sollte meinen, dass die Ärztekammern als neutrale Instanzen ausschließlich unabhängige Fortbildungen
empfehlen. Das dachte ich auch, leider ist dem nicht so. Die ernüchternde Antwort: Auch in den offiziellen CME-Verzeichnissen finden sich zahlreiche Veranstaltungen, die von Pharmafirmen gesponsert sind. Ganz ehrlich? Da fehlen mir die Worte. Ich selbst bin Chemikerin und Mikrobiologin, arbeite wissenschaftlich und unabhängig – aber ich darf keine zertifizierten CME-Fortbildungen anbieten, weil ich keine approbierte Ärztin bin. Da war ich erstmal baff. Willkommen in Deutschland.
Wenn ich also ein kleines, unabhängiges Unternehmen habe, kann ich noch so hochwertige, evidenzbasierte
Fortbildung anbieten – ohne ärztliche Zulassung keine CME-Zertifizierung. Aber wenn ich ein großes Pharmaunternehmen bin? Dann kann ich Ärzte einkaufen, die meine Inhalte vortragen – gesponsert, vermarktet, und im besten Fall gleich mit elegantem Buffet und Hotelübernachtung.
Wo bleibt die Unabhängigkeit medizinischer Weiterbildung?
Sponsoring – wirklich uneigennützig?


Oft wird betont: Die Sponsoren hätten keinen Einfluss auf den Inhalt der Fortbildungen. Aber mal ehrlich – wer glaubt das denn wirklich? Natürlich geht es denen nicht um Nächstenliebe. Pharmafirmen investieren nicht aus purer Wohltätigkeit in medizinische Bildung – sie erwarten sich etwas davon. Und das ist auch verständlich, sie sind schließlich Wirtschaftsunternehmen. Aber dann sollten wir das nicht schönreden, sondern klar benennen.
Denn dieselben Firmen, die Produktionsbedingungen in Asien oft weder sozialverträglich noch umweltschonend
im Griff haben, investieren hierzulande Unsummen in Marketing, Kongresse und Fortbildungen. Da läuft doch was gewaltig schief.
Wie viel Geld steckt eigentlich im Fortbildungsbusiness?

Jetzt mal Butter bei die Fische: Wie viel investieren Pharma- und Medizinproduktefirmen eigentlich in ärztliche Fortbildungen? Spoiler: Es ist viel. So richtig viel. Aber genaue Zahlen?
Gar nicht so leicht zu bekommen. Ich hab mich mal auf Spurensuche begeben – und was ich gefunden habe, lässt einen wirklich sprachlos zurück.
USA: Zwei Milliarden Dollar für Speaker-Programme
Fangen wir in den USA an. Laut dem US Department of Health and Human Services haben Pharma- und Medizinprodukteunternehmen zwischen 2017 und 2020 fast 2 Milliarden US-Dollar an an Fachkräfte im Gesundheitswesen für referentenbezogene Dienstleistungen gezahlt. 2 Milliarden Dollar, das ist schon eine unglaubliche Summe.
Hier zum Nachlesen.
Und wie sieht’s in Deutschland aus?
Auch bei uns fließen jede Menge Gelder. Pfizer investierte 2022 über 2 Millionen Euro in die ärztliche Fortbildung. AstraZeneca toppte das Ganze mit knapp 8 Millionen Euro für Veranstaltungen, plus weitere 660.000 Euro für Teilnahme- und Reisekosten von Ärzten. Und das sind nur zwei Beispiele von vielen.
„Euros für Ärzte“ – ein Blick hinter die Kulissen
Schon 2015 hat das Recherchezentrum CORRECTIV gemeinsam mit dem Spiegel das Projekt „Euros für Ärzte“ gestartet. Damals hatten 54 Pharmafirmen ihre Zuwendungen offengelegt – insgesamt rund 575 Millionen Euro, die an über 71.000 Ärzt:innen und über 6.000 medizinische Einrichtungen gingen. Das Geld floss für: Vorträge auf Kongressen, Beratungshonorare, Teilnahmegebühren oder auch Reisespesen.
Jede achte Fortbildung – gesponsert
Auch bei der Berliner Ärztekammer ist Sponsoring kein Einzelfall, sondern eher ganz normaler Alltag. Laut offizieller Zahlen war 2022 etwa jede achte Fortbildung gesponsert – das sind 2.460 von insgesamt 18.441 Veranstaltungen. Und auch im ersten Halbjahr 2023 ging es in genau diesem Stil weiter. Die großen Player? Keine Überraschung: Novartis, Boehringer Ingelheim, Johnson & Johnson, Bayer und Berlin-Chemie.Selbst die Charité – die die allermeisten ihrer Fortbildungen ohne Sponsoren ausrichtet – lässt das Symposium ihrer Kinderkliniken von Nestlé, AstraZeneca und Sanofi mitfinanzieren.“
Von wegen „neutral und objektiv“
Gesponsert – na und? Welche Auswirkungen haben diese Finanzierungen auf die Qualität der Fortbildungen?
Jetzt stellt sich natürlich die alles entscheidende Frage:
Hat das ganze Sponsoring eigentlich Auswirkungen auf die Qualität ärztlicher Fortbildungen?
Tja – so einfach lässt sich das leider nicht beantworten. Natürlich gibt es Richtlinien, zum Beispiel von der Bundesärztekammer, denen zertifizierte CME-Fortbildungen unterliegen. Diese sollen sicherstellen, dass auch gesponserte Veranstaltungen neutral, unabhängig und transparent bleiben. Klingt gut, oder?
In der neuesten Version der sogenannten (Muster-)Fortbildungsordnung (MFBO) wurden die Vorgaben noch mal verschärft. Aber ganz ehrlich: Was bringt das wirklich?
Meine Einschätzung? Leider nicht allzu viel. Nicht alles ist schlecht – aber…
Klar: Man kann nicht pauschal sagen, dass alle gesponserten Fortbildungen schlecht oder manipulativ sind. Einige davon sind inhaltlich gut gemacht, wissenschaftlich korrekt, strukturiert und sogar hilfreich für den Praxisalltag. Aber das ist nicht der Punkt.
Worauf zielen diese Fortbildungen am Ende ab?
Und da wird’s heikel. Denn selbst, wenn 90 % des Vortrags sachlich und evidenzbasiert sind – am Ende stehen oft Therapie- oder Produktempfehlungen, und genau dort kommt der Einfluss des Sponsors ins Spiel.
Vertrautheit als Verkaufsstrategie
Mit jeder Fortbildung wächst der Bekanntheitsgrad eines Unternehmens oder eines Medikaments. Es entsteht ein Gefühl von Vertrautheit – ganz automatisch. Und genau diese unterschwellige Nähe ist das, was Werbepsychologen seit Jahrzehnten ausnutzen.
Dazu kommen häufig noch kleine „Extras“:
- Kostenlose Teilnahme
- Übernahme von Reise- und Hotelkosten
- Catering & angenehmes Ambiente
Subtile Einflussnahme – aber mit großer Wirkung
Am Ende geht’s nicht um platte Werbung, sondern um feine, psychologisch ausgeklügelte Mechanismen, die wirken, ohne dass man es merkt. Und so beeinflusst jede gesponserte Fortbildung – auch wenn sie gut gemacht ist – ein kleines bisschen mehr die Therapieentscheidungen im klinischen Alltag.
Das ist nicht illegal. Es ist auch nicht unbedingt unmoralisch. Aber es ist ein System, das hinterfragt werden sollte – vor allem dann, wenn es um unsere Gesundheit geht.
Initiativen gegen gesponserte Fortbildungen – es geht auch anders!

Ich habe lange überlegt, ob ich in diesem Beitrag näher auf die Websiten eingehe, die gesponserte Fortbildungen anbieten. Teilweise gibt es dort auch rundum sorglos Pakete im Jahresabo für wenig Geld. Ich habe mich dagegen entschieden, da ich der Meinung bin, so dazu beitragen, deren Popularität zu steigern.
Stattdessen möchte ich lieber den Fokus auf diejenigen richten, die aktiv an Lösungen arbeiten – auf Menschen, Netzwerke und Initiativen, die sich für unabhängige medizinische Fortbildung starkmachen.
MEZIS – Mein Essen zahl ich selbst
Ein großartiges Beispiel ist die Initiative MEZIS – was ausgeschrieben so viel heißt wie: „Mein Essen zahl ich selbst“. Schon allein der Name bringt es wunderbar auf den Punkt. MEZIS ist ein Zusammenschluss von Ärzten und Ärztinnen, die 2007 angetreten sind, um sich gegen den Einfluss der Pharmaindustrie in Medizin und Weiterbildung zu stellen. Und das nicht leise oder halbherzig, sondern ganz bewusst, klar und mit Haltung. Das Netzwerk setzt sich für:
- transparente und industrieunabhängige Fortbildungen ein
- die Offenlegung von Interessenkonflikten
- eine stärkere Unabhängigkeit ärztlicher Entscheidungen
- ein ethisch verantwortungsvolles Berufsbild in der Medizin.
Aktionsbündnis Fortbildung 2020
Neben MEZIS gibt noch weitere Initiativen, die zeigen: Unabhängige Fortbildung für Ärzte ist machbar – und sinnvoll.
Ein besonders engagiertes Projekt ist das Aktionsbündnis Fortbildung 2020. Ihr Ziel: hochwertige, industrieunabhängige Weiterbildung für medizinisches Fachpersonal – ganz ohne versteckte Werbebotschaften oder Beeinflussung durch Sponsoren. Die Plattform bietet eine Übersicht über Fortbildungen, die weder direkt noch indirekt von der pharmazeutischen Industrie oder Herstellern medizinischer Produkte finanziert werden.
Heidelberger Medizinakademie – Qualität hat ihren Preis
Ein weiteres tolles Beispiel ist die Online-Plattform der Heidelberger Medizinakademie. Dort findet man eine tolle Auswahl an Kursen – von hausärztlichen Seminaren über Angststörungen bis hin zu Spezialthemen wie Rheumatologie.
Und ja: Die Kurse kosten Geld. Aber ganz ehrlich – das ist auch richtig so. Denn gute, fundierte Fortbildungen sind zeitaufwendig, benötigen Fachkompetenz, Didaktik und Aktualität. Und das hat nun mal seinen Preis.
Ich persönlich finde: Die Preise sind fair und absolut gerechtfertigt.
Und übrigens…
Referenten, die im Auftrag von Pharmaunternehmen sprechen, bekommen für vergleichbare Vorträge nicht
selten hohe Honorare – dafür, dass ihre Inhalte im Zweifel nicht nur medizinisch, sondern auch wirtschaftlich „passend“ sind.
Da frage ich mich: Warum sollte man nicht lieber unabhängige Anbieter unterstützen, die echte Qualität liefern – statt kostenlose Inhalte, die am Ende doch einen Preis haben, nur eben an anderer Stelle?
Mein Fazit: Unabhängige Fortbildung ist keine Option – sie ist notwendig

Ich spreche mich ganz bewusst und mit voller Überzeugung für unabhängige Fortbildungen für medizinische Fachkräfte aus. Warum?
Weil ich – wie wahrscheinlich die meisten von uns – von meinem Arzt oder meiner Ärztin nach bestem Wissen und Gewissen behandelt werden möchte. Nicht auf Basis dessen, was ihm oder ihr gerade verkauft wurde – sei es direkt oder subtil über eine gesponserte Weiterbildung.
Ich wünsche mir Ärzte, die sich kritisch mit allen verfügbaren Therapiemöglichkeiten auseinandersetzen, die die beste Option für mich finden – und mich dabei ehrlich und verständlich über Alternativen, Risiken und Nebenwirkungen aufklären. Denn nur dann fühle ich mich als Patientin wirklich sicher, ernst genommen und gut versorgt.
Ich weiß, dass ich mich durch meinen beruflichen Hintergrund etwas leichter tue, solche Themen zu durchschauen. Aber vielen Patienten fehlt dieses Wissen. Und sie müssen sich darauf verlassen können, dass ihr Arzt nicht durch versteckte Interessen beeinflusst wird.
Deshalb mein Appell:
An alle Ärztinnen und Ärzte:
Bitte gehen Sie in sich. Überlegen Sie, ob es wirklich notwendig ist, regelmäßig an gesponserten Fortbildungen teilzunehmen – oder ob es nicht auch andere Wege gibt, fachlich auf dem neuesten Stand zu bleiben und dabei unabhängig zu bleiben.
An alle Patienten:
Fragen Sie ruhig nach. Informieren Sie sich. Und ja – das ist manchmal gar nicht so einfach. Aber es ist Ihr gutes Recht. Schließlich geht es um Ihre Gesundheit.
Transparenz, Verantwortung und Unabhängigkeit – das sollte der Standard sein, nicht die Ausnahme.
Großartige Weiterbildungen zum Thema medizinische Mikrobiologie findet ihr auch HIER.
Schaut euch gerne bei meinen Blogbeiträgen um. Hier lernt ihr etwas über Antibiotikatherapie, Phagentherapie oder auch Erkältungsviren.
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